Familien, Paare und Einzelpersonen, insgesamt 280 Teilnehmer, strömten am 28.Dezember 2013 auf die Burg Rothenfels zur 46. Silvesterwerkwoche veranstaltet vom Quickborn-Arbeitskreis. Sie wollten sich bis zum 04. Januar 2014 mit dem Thema: „Kirche – Quo vadis?“ in Vorträgen und Gesprächskreisen auseinandersetzen. Auch das fröhliche Beisammensein am Silvesterabend, die täglichen Gottesdienste, Kreativkreise und das selbstorganisierte Burg-Café durften natürlich nicht fehlen.
Kirche und auch die Seelsorge verändern sich. Freizeit und Freiheit werden immer wichtiger. Menschen wollen eigene Erfahrungen machen, bevor sie etwas im Glauben annehmen. Konfessioneller Glaube ist für viele nicht mehr so wichtig. Man muss nach Anknüpfungspunkten suchen und darf sich nicht von den Menschen abwenden. Wenn Wertvolles erhalten bleiben soll, muss geschaut werden, wie sich Struktur weiterentwickeln lässt. Die Kirche ist eine komplexe und spannungsreiche Wirklichkeit. Die Spannung zwischen Tradition und Moderne, Sünde und Heiligkeit muss ausgehalten werden.
PD Dr. Paul Platzbecker stellte sein Referat am 29.12.2013 unter das Thema: „In der Welt, aber nicht von der Welt“ (Joh.17,14f) – zu Wesen und Sendung der Kirche – Grundlagen und Versuchungen.
Vom Ausgangspunkt der aktuellen Kirchenkrise als Vertrauenskrise und Glaubenskrise spannte er den Bogen über die Frage: „Hat Jesus eine Kirche gewollt?“ hin zur Entstehung der frühen Kirche mit Ämtern und Strukturen. Aber schon in der frühen Kirche zeigten sich erste Konflikte, Streit und Spaltungsbewegungen. Es bestand eine Spannungseinheit von Charisma und Amt, die einander brauchten. Frauen übten prophetisches Charisma aus (1 Kor 11,4) und hatten in der paulinischen Gemeinde eine starke Stellung in Diakonie, Verkündigung und Leitung, die aber später verloren ging. Die ursprünglich an ein persönliches Charisma gebundene Herrschaft wurde ´versachlicht´ d.h. zum Amt. Durch die Auflösung dieses spannungsreichen Gleichgewichts zwischen Charisma und Amt entwickelte sich die Kirche von der verfolgten „Untergrundkirche“ zur staatstragenden Reichskirche. In der modernen Zeit lässt sich dieser Wandel an der Partei der Grünen von der Protestbewegung zur etablierten Partei demonstrieren. Eine Zeit des einseitigen Umgangs mit Macht und Einfluss; Auslegung des Zusammenhanges von Sünde und Heiligkeit in der Kirche brach an. Dr. Platzbecker zog das Fazit: Die Kirche ist von ihrem Ursprung und ihrem Auftrag her eine komplexe, spannungsreiche Wirklichkeit, die Immanenz und Transzendenz, Welt und Himmel, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, schon und noch nicht, Macht und Ohnmacht, Sünde und Heiligkeit miteinander untrennbar verbindet. Kirchlich glauben heißt u.a. diese Spannungen auszuhalten.
„Aufbruch zur Welt – Das II. Vatikanische Konzil und sein bleibendes Erbe“ lautete das Thema des Vortrags am Montag. Die katholische Kirche befand sich nach dem 1. Vatikanischen Konzil von 1870/71 in einem institutionellen und geistigen Ghetto. Die päpstliche Unfehlbarkeit war zum Dogma erhoben. Aus heutiger Sicht war der Höhepunkt des autoritären katholischen Zentralismus erreicht und Papst Pius X. disziplinierte den Klerus 1910 zusätzlich durch den „Antimodernisteneid“. Gleichzeitig gab es zahlreiche Reformbewegungen. Romano Guardini veröffentlichte 1918 „Vom Geist der Liturgie“ und wirkte später hier auf Burg Rothenfels. 1958 wurde Papst Johannes XXIII. gewählt. Er eröffnete am 11. Oktober 1962 das 2. Vatikanische Konzil. Sein Grundmotiv war aggiornamento (Verheutigung). „Vom Konzil erwarte ich einen frischen Luftzug.“ Das Ende des Konzils erlebte er nicht mehr. Er verstarb am 3. Juni 1963.
Die Schätze des II. Vaticanum:
Das 2. Vaticanum stellte viele neue Weichen: Die Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ definiert das Verhältnis, der Kirche Christi zur römisch-katholischen Kirche, zu den Laien als Volk Gottes, zu den Ortskirchen und definiert das Verständnis von Kirche. Manches davon schlummert noch als nicht gehobener Schatz, manches ist auch schon augenfällig umgesetzt. Für alle erfahrbar ist die volle, bewusste und tätige Teilnahme bei der Feier der Eucharistie. Auch der Gebrauch der Landessprache und die Hinwendung des Priesters zur Gemeinde ist Allgemeingut. Weniger bekannt ist die Erklärung zur Religionsfreiheit: Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen - innerhalb der gebührenden Grenzen - nach seinem Gewissen zu handeln. Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird.
Dass es eine kirchliche Wirklichkeit außerhalb der röm.-kath. Kirche gibt, hat sich als Türöffner für eine Ökumene (bisher nur Gespräche) erwiesen.
Ferner erklärt „Lumen Gentium“ die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens. Die Ortsgemeinde ist die wirkliche „Kirche Gottes“ und „LG“ vollzieht damit eine Abkehr vom strengen römischen Zentralismus.
Dr. Platzbecker führte dazu aus: Kirche als Gemeinschaft des Glaubens meint nicht eine homogene Gemeinschaft aufgrund gleicher Vorstellungen, Interessen oder wechselseitiger Sympathie; Freundschaft; Zuneigung sondern: eine Gemeinschaft, die vom Hl. Geist so verändert wird, dass die sozialen Beziehungen, die zunächst immer auch ein Ort der Konflikte (…) sind, zu einem Heilsort werden, an dem die schöpferische, versöhnende und befreiende Gegenwart Gottes durch den Dienst der Gläubigen bzw. der Kirche wirksam und wirklich wird, so dass nun eine neue Gemeinschaft entsteht, die neu d. h. versöhnt und befreit im Sinne des Reiches Gottes leben kann und leben lässt. Er warnte eindrücklich vor einem „Wärmetod“, der durch zu viel Harmonie und Gleichheit eine Gemeinde auseinandertreibt.
Was bleibt als Erbe und Vermächtnis offen? Das Vaticanum II hat den Verzicht auf Privilegien, Prunk, Macht und Titel formuliert, der in der Folgezeit ins Hintertreffen geriet. Die Befreiungstheologie wurde unterdrückt. Don Helder Camara: „Wenn ich den Armen zu essen gebe, bin ich ein Heiliger, wenn ich frage, warum sie arm sind, bin ich ein Kommunist.“ Papst Franziskus hat diese Option für die Armen wieder aufgegriffen: „Ich wünsche mir eine arme Kirche für die Armen“.
Es bleiben in der „verbeulten Kirche“ immer noch viele Fragen z. B. nach der Rolle der Laien in der Leitung der Gemeinde als „viri probati“; in der Katechese; der Frauen in Leitungsfunktion; als Diakoninnen; zum Zölibat; zur wechselseitigen Mahlgemeinschaft bei konfessionsverschiedenen Ehepartner; etc…offen.
Exodus als biblische Folie einer Gemeinschaft auf dem Weg in die Zukunft lautete der Titel des Vortrags von Wolfgang Müller.
Der Rittersaal eignet sich auf Grund seiner Schlichtheit für jede Gelegenheit von der Turnhalle bis zur Kathedrale. Wolfgang Müller nutzte nun den Raum, um die Teilnehmer aufzufordern, als „Volk Israel“ ihren Platz einzunehmen zwischen den „Fleischtöpfen Ägyptens“ und dem „Gelobten Land“ Israel. Sehr schnell bauten die Teilnehmer einen Weg durch das Rote Meer, fanden Manna, bauten den Ort Massa und Meriba, an dem Moses Wasser aus dem Felsen geschlagen hatte, erbauten aus Stühlen den Berg Sinai und einige erreichten das Gelobte Land. Die Teilnehmer ordneten sich einem Standort zu und erklärten in der Reflexion, weshalb sie diesen Standort gewählt hatten. Diese Antworten waren zum Teil sehr persönlich gehalten. Es gab auch warnende Stimmen, die das „Volk Israels“ zur Umkehr an die Fleischtöpfe Ägyptens aufrief. Mit diesem Impuls wurden die Teilnehmer in die Gesprächkreise entlassen.
Zukunftsfähige Kirche – mehr als nur Seelsorgeeinheit…lautete der Titel des nächsten. Impulsreferates von Wolfgang Müller. Er berichtete von seiner Arbeit als Stadtjugendseelsorger und wie er mit der Jugendkirche „DA“ neue spirituelle Zugänge zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen herausarbeitet. Er ist „da“, steht für Gespräche zur Verfügung und gibt den Menschen einen Raum zum Innehalten und mehr… Anschließend berichtete Wolfgang Müller über Projekte die sich an Jugendliche und Glaubensferne richten. In Deutschland gibt es z.B. die Alphakurse; im Raum der Anglikanischen Kirche zeigte er etliche Projekte auf. Er ermunterte uns, in der Gemeinde neue Wege zu suchen und zu gehen. Dabei war es ihm bewusst, dass diesem Beginnen viele Hindernisse entgegenstehen würden. Aber Kirche ist dort, wo die Gläubigen sind und Kirche sollte sich der Bedürfnisse der Gläubigen auch in „Nebensächlichkeiten“ wie dem Zeitpunkt des Gottesdienstes annehmen. („Jesus hat ein Abendmahl gestiftet, keine Frühmesse.“)
03.01.2014 Zum Abschluss:
Zum Abschluss setzten sich die Teilnehmer noch einmal in sechs Gruppen mit folgenden Themen auseinander:
- Kirche im Blick: Was nehme ich nun anders wahr?
- Kirche in Ägypten: Was lasse ich (zurück) wenn ich nach Hause komme?
- Kirche als Werkstatt: Wo lege ich konkret Hand an?
- Kirche im Gelobten Land: Wovon träume ich?
- Kirche als Gemeinschaft des Glaubens: Wie verhelfe ich Gottes Geist zum Durchbruch?
- Kirche aus Motivation: Wer oder was ermutigt mich?
Jede Gruppe hatte nach 40minütiger Arbeitszeit im Plenum 5 Minuten Redezeit, um das Ergebnis ihrer Arbeit vorzustellen. Hier schloss sich der Kreis: Kirchlich glauben heißt u.a. Spannungen auszuhalten.
Tägliche Gottesdienstfeier
Wir feierten täglich einen Gottesdienst, entweder als Eucharistiefeier – bis zum 01. Januar war Dr. Ortkemper unser Gast – oder als Wortgottesdienst. Die Gottesdienste wurden inhaltlich und musikalisch von einer Vorbereitungsgruppe geplant. Zu Silvester feierten wir einen speziellen, experimentellen Gottesdienst. Bereits am Eingang wurde jedem 4. Eintretenden mitgeteilt, dass er der „4“. sei. Dann wurde der Gottesdienst gemeinsam eröffnet und die Gemeinde in vier Gruppen aufgeteilt, nämlich Männer und Kindern, Senioren, Frauen und jeder „4“. Die jeweiligen Gruppen begaben sich mit einem Leiter in unterschiedliche Räume und feierten dort den Gottesdienst gruppenspezifisch weiter.
Nachmittagsgespräche zum Tagungsthema
An drei Nachmittagen fanden folgende Gesprächskreise zum Thema statt.
- Bericht von einer Basisgemeinde
- Zurück zu den Wurzeln
- Wo Glauben Raum gewinnt
Abendplenen
An drei Abenden trafen sich die Teilnehmer zum Abendplenum, um Fragen, die in den Gesprächkreisen aufgekommen waren, zu klären.
Am Abend des 30.12.2013 gab es im Rahmen des Abendplenums einen Exkurs mit Dr. Achim Budde zur „Ausgestaltung des Rittersaales und der Kapelle durch Guardini und Schwarz und deren Wirkungsgeschichte“.
Die Tage wurden umrahmt von Morgenlob und Abendmeditation.
30 Kreativkreise, die Bewirtung im Café, die Kinderbetreuung, damit die Erwachsenen an allen Aktivitäten teilnehmen konnten, die Vorarbeit durch Gesprächskreisleiterinnen und –leiter und nicht zuletzt die Leitung durch die ehrenamtlichen Sprecherteams der Jüngeren und der Älteren haben die Silvesterwerkwochen gelingen lassen. Sie alle verdienen unseren Dank.
Stephan Weisz
Dipl.-Päd.